Außerhalb der üblichen Kunstblase

Anna Gritz im Konferenzraum des Hauses am Waldsee.
© Florian Reimann

Mit Anna Gritz bekommt das Haus am Waldsee eine neue Direktorin. Neben der Kunst will sie auch deren Produzenten stärker einbinden und die Villa an der Berliner Peripherie endlich vom Garten her denken.

Vor einigen Monaten schien die Zukunft des Ausstellungshauses im Berliner Süden wenig vielversprechend. Katja Blomberg hatte nach 16 Jahren Leitung das Haus am Waldsee überraschend verlassen, acht Monate vor dem regulären Ende ihrer Amtszeit. Die Differenzen zwischen dem seit Sommer 2020 amtierenden neuen Vorstand des Trägervereins und der 65-jährigen Kunsthistorikerin waren offenbar so weit eskaliert, dass Blomberg nicht einmal mehr die von ihr vorbereitete Tony-Cragg-Ausstellung eröffnete.

Genaueres über die Querelen drang nicht an die Öffentlichkeit. Die reguläre Bewerbungsphase für die Nachfolge war zu dem Zeitpunkt jedenfalls bereits in vollem Gange. Für das Auswahlverfahren bemühte sich das Haus aber um Objektivität und zog ein externes Beratungsgremium hinzu, dem aus Berlin unter anderem Stephanie Rosenthal (Gropius Bau) und Bonaventure Soh Bejeng Ndikung (Savvy Contemporary, ab 2023 Haus der Kulturen der Welt) angehörten. Im Dezember fiel dann die Entscheidung: Anna Gritz wird ab Juni dieses Jahres die Leitung des Hauses am Waldsee übernehmen.

Anna Gritz auf dem Balkon zur Gartenseite des Haus am Waldsee.
© Florian Reimann

Seit 2016 ist die gebürtige Düsseldorferin Kuratorin am KW Institute for Contemporary Art, für das sie viel beachtete Ausstellungen, etwa von Judith Hopf oder die erste Retrospektive Amelie von Wulffens in Berlin, realisierte. Derzeit verantwortet Gritz die partizipative Installation des Designerduos Bless im Rahmen des einjährigen Künstlerresidenzprogramms in einer Wohnung im Seitentrakt des KW.

»Kunst reagiert auf Kontexte«, sagt Anna Gritz beim Treffen im Haus am Waldsee. »Die Idee des White Cube interessiert mich nicht, sondern die gelebte Realität – ein Haus wie dieses bildet dafür den perfekten Rahmen.« In der 1922 erbauten Villa des jüdischen Fabrikanten Hermann Knoblochschwingen sowohl das Private als auch die bewegte Geschichte immer mit. Seit 1946 werden hier Ausstellungen zur Gegenwartskunst realisiert, die vielfach wichtige Impulse für das Kunstleben der Stadt gaben. So wurde beispielsweise unmittelbar nach Kriegsende zuvor verfemte Kunst gezeigt und aktiv rehabilitiert. 1980 schrieb das Haus mit der Ausstellung »Heftige Malerei« Kunstgeschichte; die beteiligten Maler firmierten in der Folge als »Neue Wilde«.

Anna Gritz hat das Haus am Waldsee erstmals 2014 im Rahmen der Berlin Biennale besucht. »Vor allem reizt mich die Lage an der Peripherie. Die räumliche Distanz zur Innenstadt begreife ich als Chance, außerhalb der üblichen Kunstblasen zu agieren.« Bevor die 41-Jährige vor sechs Jahren aus der britischen Hauptstadt nach Berlin zog, war sie Kuratorin für Film und Performance an der staatlich finanzierten South London Gallery, die, wie Gritz meint, vergleichbar mit dem Haus am Waldsee eine gewisse Freiheit habe, am Rande der musealen Institutionen Schlaglichter zu setzen. Ihre umfangreichen Auslandserfahrungen und Netzwerke lassen eine stärkere internationale Ausrichtung des Programms erwarten. Gritz machte ihren Masterabschluss in San Francisco, war als Ausstellungsmacherin bei Apexart in New York, außerdem kuratorisch am Institut of Contemporary Arts (ICA) und der Hayward Gallery in London tätig (von der auch Stephanie Rosenthal nach Berlin wechselte).

Katja Blomberg hatte den Fokus allein auf in Berlin lebende Künstler gesetzt, die in der Stadt noch nicht angemessen institutionell repräsentiert worden waren. Ein Ansatz, den auch Anna Gritz am KW verfolgte: »In Berlin ist die künstlerische Szene viel fragmentierter als beispielsweise in London. Mir ist wichtig, das aktuelle Kunstgeschehen zu reflektieren und immer wieder neue Perspektiven auf die Stadt zu finden.« Also hat sie ähnliche Schwerpunkte wie ihre Vorgängerin? »Ich will mich weniger festlegen, sondern mehr auf künstlerische Positionen konzentrieren, die mir als dringlich im aktuellen gesellschaftsrelevanten Diskurs erscheinen.«

Haus am Waldsee in Berlin-Zehlendorf.
© Florian Reimann

Eine der ersten für das Haus am Waldsee geplanten Ausstellungen wird der 89-jährigen Margaret Raspé gewidmet sein, die Gritz bereits in einer Gruppenausstellung im KW gezeigt hat. Die weitgehend in Vergessenheit geratene Künstlerin erfand in den 1970er-Jahren den Kamerahelm mit montierter Super-8-Kamera, mit dem sie ihre alltäglichen Handlungen wie Kochen oder Geschirrspülen bis hin zum Malen festhielt. »Ihre Radikalität und ihr Experimentierwillen machen sie zu einer Wegbereiterin des feministischen experimentellen Films. Das wurde nie wirklichgewürdigt.« Raspé, die in ihrem Garten im Rhumeweg früher legendäre Künstlersoireen mit Schriftstellern, Musikern und den Wiener Aktionisten veranstaltete, wohnt bis heute in der unmittelbaren Zehlendorfer Nachbarschaft und war auch eines der ersten Mitglieder des Freundeskreises. »Ein gutes Beispiel also für eine lokale Kunstgeschichte, die im Haus am Waldsee noch nicht erzählt worden ist«, erklärt Gritz mit einem Lächeln. Auch über eine Ausstellung mit der amerikanischen Performancekünstlerin Leila Hekmat denkt Gritz nach. Man ahnt, dass sie nicht nur den inhaltlichen Rahmen weit aufspannen, sondern grundsätzlich die Richtung wechseln wird.

»Ganz besonders freue ich mich auf den Garten, der im Mai fertiggestellt werden soll«, fährt Gritz fort und schaut sehnsüchtig durch die großen Fenster des Cafés auf die Baustelle des denkmalgeschützten Parks hinter dem Museum. »Ich möchte das Haus vom Garten her erschließen und ihn in engem Austauschmit meinem Team, Künstlern und Landschaftsgärtnernweiterentwickeln.« Wenn das Budget es zulässt – lediglich die Betriebs- und Personalkosten des Hauses werden vom Land Berlin abgedeckt, alles Weitere muss durch den Verein der Freunde bzw. Drittmittel finanziert werden – sollen eigens für den Park wechselnde Ausstellungen mit neuen Arbeiten entstehen. Auch Konzerte, Workshops und andere Vermittlungsformate sind geplant.

Es scheint Anna Gritz wichtig zu sein, dass das Haus am Waldsee nicht nur ein Ort der reinen Kunstbetrachtung ist. »Es muss mehr Wege in die Kunst geben. Die meisten Kunstinstitutionen sind viel zu elitär.« Sie möchte ihr neues Umfeld im bürgerlichen Berliner Südwesten besser verstehen, die unmittelbare Nachbarschaft direkt einbeziehen und Kooperationen mit den umliegenden Museen, privaten Kunstorten und wissenschaftlichen Einrichtungen der Freien Universität eingehen.

Vermittlungsarbeit bedeutet für Gritz darüber hinaus, das Haus am Waldsee als einen Ort der Produktion zu etablieren, an dem ein intensiver Austausch mit Künstlern, Kuratoren und Publikum in einem nichtakademischen Kontext stattfinden und in die Ateliers zurückgetragen werden soll. Ihr »feines Gespür für die Fortentwicklung der Aufgaben zeitgenössischer Kunstinstitutionen« stellte bereits der Vorstand des Trägervereins explizit heraus. »Einer der wichtigsten Punkte meiner Bewerbung war vielleicht, dass ich das Haus gerne aus einer künstlerischen Attitüde heraus leiten würde, vermehrt Künstler in den Trägerverein bringen, vielleicht einen künstlerischen Beirat bilden und Künstler in die inhaltlichen und strukturellen Entscheidungsprozesse des Hauses einbeziehen möchte.« Als Inspiration nennt Gritz die in den 1960er-Jahren in London von Barbara Stevenigegründete »Artist Placement Group«, die Kunst außerhalb der herkömmlichen Kunstinstitutionen neu ausrichten wollte, vor allem durch die zeitweilige Einbindung von Künstlern in Wirtschaftsunternehmen oder politische Kontexte.

Die strukturellen und programmatischen Ansätze von Anna Gritz wirken ambitioniert, und man kann ihr nur wünschen, dass sie auf genügend Flexibilität stößt, um an einigen Stellschrauben zu drehen.

 

Text: Anne Haun-Efremides

 

 

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