Die Berliner Museen befinden sich auf dem richtigen Weg
Christine Regus, Leitung des Referats Museen, Gedenkstätten und Einrichtungen bildender Kunst
Was verstehen Sie unter Outreach?
Outreach ist ja zunächst einmal das englische Wort für Reichweite. Und diese zu erhöhen, ist ein zentrales Thema für Museen und andere Kultureinrichtungen – sowohl in Berlin als auch bundesweit. Ziel ist es, dass sie als Diskursräume fungieren, relevant bleiben und auch Zielgruppen erreichen, die bisher zu wenig angesprochen werden. Da sich die Gesellschaft ständig verändert und diversifiziert, müssen Museen reagieren, sich öffnen und die Gründe dafür identifizieren und abbauen, die potenziell interessierte Menschen davon abhalten, ins Museum zu gehen.
Welche konkreten Zielgruppen lassen sich erreichen? Wen erreicht Outreach eher nicht? Wie niedrigschwellig muss, wie anspruchsvoll sollte Outreach sein?
Speziell entwickelte Maßnahmen und Programme sollen gezielt gegen soziale Ausgrenzung wirken und neue Besucher*innengruppen in die Museen einladen. Dabei hat Outreach das Potenzial, Kulturinstitutionen als Orte kultureller Bildung zu erschließen, die zu einem besseren Verständnis der persönlichen und gesellschaftlichen Entwicklung beitragen. Wir sehen in Berlin, dass in den Museen niedrigschwellige Angebote geschaffen werden können, die bei Qualität und Inhalt keine Abstriche machen müssen und attraktiv für alle Besucher*innen sind. Durch Kooperationen – etwa mit Werkstätten für Menschen mit Beeinträchtigungen, Nachbarschaftsvereinen, Jugendzentren und Volkshochschulen – werden Menschen angesprochen, die oftmals sonst gar nicht mitbekommen, was die Museen ihnen bieten können. Natürlich sorgt Outreach nicht dafür, dass alle ins Museum kommen – es gibt ja auch Leute, die grundsätzlich kein Interesse haben und das ist auch in Ordnung. Aber Barrieren, die auf potenziell Interessierte abschreckend wirken, die werden abgebaut.
Was sind die größten Herausforderungen für Outreach?
Oft wird Outreach allein auf Maßnahmen zur Ansprache neuer Besucher*innen reduziert. Es ist aber genauso wichtig, dass sich die Inhalte, der Kanon, die Programme der Kultureinrichtungen ändern. Nachhaltig lässt sich das nicht durch einzelne Mitarbeitende, z.B. Outreach-Kurator*innen machen, sondern langfristig muss sich die gesellschaftliche Diversität auch innerhalb der Kultureinrichtungen, im Personal, widerspiegeln. Dieser Prozess dauert natürlich lange. Outreach muss daher verschränkt mit einer diversitätsorientierten Organisationsentwicklung gedacht werden. In manchen Häusern hat sich gezeigt, dass nicht alle Erwartungen an Outreach sofort eingelöst werden konnten und viele der begonnenen Prozesse, bei denen es oft um Aufbau von Kooperationen und die Pflege von Beziehungen und Vertrauen geht, viel Zeit, vor allem aber personelle Kontinuitäten erfordern.
Was muss sich in den Museumsstrukturen ändern, um Outreach-Erfolge zu verstetigen?
Outreach kann nur als eine Daueraufgabe in den Museen und Kulturinstitutionen gedacht werden. Aus diesem Grund haben wir in Berlin das Programm der Outreach-Kurator*innen ins Leben gerufen. Seit dem Jahr 2018 wird der Einsatz von Outreach-Kurator*innen vor allem in den großen Berliner Gedenkstätten und größeren landesgeförderten Museen gefördert. Seit 2020 sind auch kleinere landesgeförderte Museen dazugekommen. Hierdurch ist ein nachhaltiges Netzwerk entstanden. Ende 2020 konnten alle Stellen dauerhaft verankert werden, um eine langfristige Perspektive von Outreach in den Häusern zu sichern. Die Outreach-Kurator*innen streben in ihren Häusern einen systematischen Öffnungsprozess sowohl nach innen als auch nach außen an. Je offener Kultureinrichtungen für die damit einhergehenden Veränderungen sind, umso größer sind auch die Erfolge von Outreach. Eine besondere Rolle spielen dabei natürlich die Leitungen der Häuser. Ich nehme da aber eine große Offenheit wahr.
Lassen sich bereits Effekte in Richtung einer diverseren, die Gesellschaft klarer widerspiegelnden Besucherschaft feststellen?
Corona hat die letzten zwei Jahre stark geprägt und daher konnten manche Programme nicht so starten wie geplant. Die vielen Kooperationen mit Nachbarschaftsvereinen, Jugend- und Stadtteilzentren, die Outreach in den Häusern initiiert hat, lassen aber schon erkennen, dass sich die Berliner Museen auf dem richtigen Weg befinden. Übrigens zielt auch die Einführung des freien Eintritts an jedem ersten Sonntag im Monat an den Sonntagen darauf, mit niedrigschwelligen Angeboten die Museen zu öffnen. Der eintrittsfreie Sonntag, der im Juli 2021 gestartet ist, wird durch das Institut für Kulturelle Teilhabeforschung begleitet. Ich bin sehr gespannt auf die Ergebnisse, die die Beforschung der Eintrittsfreiheit und deren Auswirkung auf das Publikum hervorbringt. Aber praktisch alle Häuser berichten jetzt schon, dass das Publikum an den Tagen deutlich diverser sind als sonst.
Christine Regus, Leitung des Referats Museen, Gedenkstätten und Einrichtungen bildender Kunst
Senatsverwaltung für Kultur und Europa