Outreach muss authentisch sein

Kulturprojekte Berlin

Paolo Stolpmann, Leitung Museumsdienst Berlin

Was verstehen Sie unter Outreach?

Zum Outreach kommt es meist dann, wenn die Institution ihre Komfortzone verlässt. Für ein Museum bedeutet das nicht unbedingt, das eigene Haus mit Programmen zu verlassen, sondern etwa mit kostenfreiem Eintritt eine direkte Einladung an die Nachbarschaft auszusprechen oder mit Schulklassen zu kooperieren. Langfristigkeit steht dabei immer im Vordergrund, ein einmaliges Treffen oder eine einzelne Veranstaltung wird der Aufgabe »Outreach« nicht gerecht.

Welche konkreten Zielgruppen wollen Sie erreichen? Wen erreicht Outreach nicht? Wie niedrigschwellig muss, wie anspruchsvoll sollte Outreach sein?

Niedrigschwellig zu sein bedeutet nicht, auf Anspruch zu verzichten. Im Gegenteil besteht insbesondere bei der Outreach-Arbeit die Herausforderung darin, sich nicht hinter Phrasen und undurchdringlichen Konzepten zu verstecken. Wir stellen uns immer die Frage: Für wen ist ein Angebot relevant und warum? Und anschließend: Wen erreicht mein Angebot trotz einer erkennbaren Relevanz nicht? Im Allgemeinen zielt Outreach auf die gewissermaßen undefinierte Gruppe von Nichtbesucher*innen ab, allerdings nicht mit dem unmittelbaren Ziel, diese zu Besucher*innen des Museums zu machen. Outreach ist kein Mittel des Audience Developments. In der Praxis unterteilt sich die Outreach-Arbeit zumeist in Programme für die lokalen Communitys / die Nachbarschaft und langfristige Schulkooperationen.

Was sind die größten Herausforderungen für Outreach?

Authentizität. Ein Kunstmuseum bleibt ein Kunstmuseum, mit oder ohne Outreach. Man sollte also authentisch auftreten und sich nicht als etwas präsentieren, das man nicht ist. Man sollte akzeptieren, dass sich, egal wie gut das Angebot, wie niedrigschwellig der Zugang und wie einladend die Institution ist, ein Teil der Menschen, die man ansprechen möchte, nicht nachhaltig interessieren wird. Viele Museen und Programme versuchen verstärkt, selbst interessant zu sein, anstatt sich für die Geschichten und Meinungen der Menschen zu interessieren, die sie erreichen wollen.

Mit welchen Projekten/Initiativen haben Sie den größten Erfolg? Was muss sich in den Museumsstrukturen ändern, um diese Erfolge zu verstetigen?

Im Herbst 2021 hat der Museumsdienst gemeinsam mit der Berlin Art Week und der venezolanischen Künstlerin Sol Calero einen Ort auf dem Vorplatz des KINDL – Zentrum für zeitgenössischer Kunst entwickelt und für fünf Tage umgesetzt, der sich der zeitgenössischen Kunstproduktion mannigfaltig widmete. Zeitgenössische Kunst hält im Bereich der musealen Bildungsarbeit sicherlich die größten Barrieren für Besucher*innen bereit, obwohl sich die Künstler*innen mit ihren Werken oftmals ganz konkret unserer Welt, unseren Fragen und Problemen widmen. Wir haben daher zuvorderst versucht, einen offenen und wenig institutionellen Treffpunkt mit einer großen Anziehungskraft zu gestalten. Workshops, Gespräche, gemeinsames Essen, Musik, Sport, Performances und eine Kunstinstallation fanden zum Teil parallel und immer kostenfrei statt. Wir beobachteten, dass, wer einmal dort war, ob zufällig oder geplant, am nächsten Tag wiederkam. Es mischten sich Künstler*innen und Familien aus der Nachbarschaft, Anwohner*innen und Kunstbegeisterte aus der ganzen Stadt.

Lassen sich bereits Effekte in Richtung einer diverseren, die Gesellschaft klarer widerspiegelnden Besucherschaft feststellen?
Solange Museen zehn Euro Eintritt oder mehr für einen Besuch verlangen müssen, um wirtschaftlich zu sein, ist es kaum möglich, diese Ziele zu erreichen. Man sieht am eintrittsfreien Museumssonntag, dass es ein auffällig großes Interesse sehr unterschiedlicher Zielgruppen gibt, aber ein Tag im Monat ist schlicht zu wenig, um feste Beziehungen zu den Menschen aufzubauen. Des Weiteren müssen sich auch die Programme und Themen in den Institutionen verändern und vielfältigere Erzählungen bereithalten, um die Möglichkeit zur Identifikation zu schaffen. Hier führen uns die Herausforderungen des Outreach direkt zum ebenso wichtigen Inreach: Wer macht die Programme, wer kuratiert die Ausstellungen? Leider spiegeln die meisten Institutionen nur einen sehr begrenzten Ausschnitt unserer Gesellschaft wider, was dann an den Programmen und Angeboten ersichtlich wird.