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Vergessene Künstlerinnen wiederentdecken – das ist dem VERBORGENEN MUSEUM hundertfach gelungen. Jetzt endet eine Ära. Wie die Vision der Gründerinnen dennoch weiterleben soll
Es heißt, in jedem Ende liege ein neuer Anfang. Wenn also am 14. Januar 2022 Das Verborgene Museum an die Berlinische Galerie geht, ist das zwar der Schlusspunkt einer Ära, aber auch dererste Schritt auf einem neuen Weg. Auf 35 Jahre Pionierarbeit blickt die Institution zurück. Konsequent und mit Erfolg verfolgte sie das Ziel, Künstlerinnen in der Kunstgeschichte zu verankern, die, aus welchem Grund auch immer, in Vergessenheit geraten sind.
Begonnen hat alles 1984. Auf Initiative der Künstlerinnen Gisela Breitling und Evelyn Kuwertz fand sich unter dem Dach der Neuen Gesellschaft für bildende Kunst eine Gruppe von Frauen, vorrangig Kunsthistorikerinnen, zu einem besonderen Ausstellungsprojekt zusammen. In den West-Berliner Sammlungen recherchierte sie Werke von Künstlerinnen. Daraus erwuchs 1987 in der Akademie der Künste die Ausstellung »Das verborgene Museum«. Noch vor Eröffnung gründete sich der gleichnamige Verein, der die Arbeit zu verstetigen suchte. Es entstand eine weltweit einzigartige Institution.
Nun ist es nicht so, dass es nicht noch andere »Frauenmuseen« gäbe: Der Internationale Verein der Frauenmuseen (IAWA) verzeichnet um die hundert Mitglieder. Doch sie fokussieren zumeist auf soziologische und kulturhistorische Aspekte, bieten zeitgenössischen Künstlerinnen eine Plattform oder sammeln ausschließlich Kunst von Frauen. Der Anspruch des Verborgenen Museums aber war ein anderer: »Wir wollten die Museen anregen, die Künstlerinnen, die wir ausfindig gemacht hatten, in die Sammlungen einzubeziehen und neben den Werken von Künstlern zu zeigen«, erklärt Marion Beckers, Chefkuratorin und einzige Angestellte des Vereins. Elisabeth Moortgat, Mitglied des Vorstands und Kuratorin, ergänzt: »Ein Museum ausschließlich für Künstlerinnen wollten wir nicht. Ihre Werke gehören in die vorhandenen musealen Sammlungen.« Schätzungsweise 150 Künstlerinnen hat Das Verborgene Museum über die Jahre ausgestellt.
Dabei war nicht nur die Anfangszeit steinig. Obwohl die Schau in der Akademie der Künste überaus gut besucht und besprochen war, wurde das Anliegen des Verborgenen Museums eher belächelt;finanzielle Unterstützung gab es während der ersten Jahre nicht, Mäzenen und Sponsoren schien das Thema zu abwegig. Der Verein arbeitete bis zuletzt vor allem ehrenamtlich. Erst drei Jahre nach der Gründung begann der Berliner Kultursenat, das Museum zu fördern. Das Geld reichte jedoch nur für die Miete und eine halbe Stelle – und musste jedes Jahr neu beantragt werden. Recherche, Ausstellungen und wissenschaftliche Bearbeitung waren damit noch nicht finanziert. Doch die Initiatorinnen hatten sich ihrem Vorhaben längst mit Leib und Seele verschrieben. »Manchmal hatten wir für eine Ausstellung gar kein Geld, dann musste alles so günstig wie möglich sein. Also haben wir die Transporte selber gemacht, die eigene Zeit rechnet man ja nicht. Ohne diesen persönlichen Einsatz hätte es den Verein nach fünf Jahren nicht mehr gegeben«, resümiert Beckers. Grundlagenforschung, Leihverkehr, Ausstellungstexte, Pressemappen, Programmorganisation, selbst Rahmungen und Aufsicht lagen in der Hand der Vereinsmitglieder. Immer entstand auch ein fundierter wissenschaftlicher Katalog, um die Künstlerinnen dauerhaft in der Kunstgeschichte sichtbar zu machen.
Der frühe Versuch, eine Ausstellung zu Artemisia Gentileschi zu organisieren, scheiterte an mangelnder Unterstützung und zu hohen Kosten. Der Fokus des Verborgenen Museums richtete sich daher auf die um 1900 geborene Generation. Insbesondere Fotografinnen rückten ins Blickfeld, war doch die Fotografie in den 1980er- und 1990er-Jahren gerade dabei, sich als museumswürdig zu etablieren. Ausschlaggebend waren stets die künstlerische Qualität und das Vorhandensein eines umfassenden Œuvres – nicht ganz selbstverständlich, denn viele Frauen gaben ihre künstlerische Tätigkeit nach der Heirat auf oder verloren ihre Arbeiten während des Zweiten Weltkriegs. Die Liste der wiederentdeckten Künstlerinnen ist beeindruckend: Lotte Jacobi, Frieda Riess, Eva Besnyö, Yva, Alice Lex-Nerlinger, Louise Rösler, Ilse Heller-Lazard, Marianne Breslauer, um nur einige zu nennen. Letztere zeigte die Nationalgalerie 1989 zwei Jahre später, sogar mit identischer inhaltlicher Ausrichtung. Ohne Hinweise von Journalisten wäre die Pionierarbeit des kleinen Hauses gänzlich unerwähnt geblieben, erinnert sich Marion Beckers. Diese Ignoranz der etablierten Museen war keine Ausnahme. Wenn heute Lotte Laserstein in der Museumswelt als wegweisendeKünstlerin gefeiert und angekauft wird, findet selten Erwähnung, dass Das Verborgene Museum mit seiner Ausstellung im Ephraim-Palais 2003 die Künstlerin für Deutschland wiederentdeckte. »MitLaserstein haben wir geschafft, was wir uns in unseren kühnsten Träumen gewünscht haben: Sie ist in den Kanon aufgenommen. In der Neuen Nationalgalerie wird sie heute zwischen Beckmann undDix gezeigt.« Dabei waren die Kooperationspartner wenig kulant: Das Stadtmuseum stellte nur die Räume zur Verfügung, die Einnahmen blieben aber komplett dort. »Wenn es ein Erfolg wird, bleibt es bei uns, wenn es ein Reinfall wird, bleibt es bei Ihnen«, kommentierte damals ein Mitarbeiter des Stadtmuseums.
Doch der Wind dreht sich: Parität und Diversität sind längst ausschlaggebende Kriterien im Museums- und Ausstellungsalltag. Kaum ein Kunstmuseum, das in den letzten Jahren keinen Blickauf die »weibliche Seite« der Kunst geworfen hätte. In der Schau der Neuen Nationalgalerie hängen neben Lotte Laserstein weitere Künstlerinnen, die Das Verborgene Museum teils schon vor Jahrenzeigte – Alice Lex-Nerlinger etwa, oder Lou Loeber. Warum gerade jetzt die Arbeit aus den Händen geben? »Die Situation ist schwieriger geworden. Unsere Ausstellungsräume befinden sich in einemnormalen Wohnhaus, mit den Kapazitäten kommen wir ständig an unsere Grenzen. Auch die Auflagen werden immer höher – zum Klima, zu den Sicherheitsvorkehrungen, uns fehlen Entrée und Garderobe. Auf Dauer können wir in diesen Räumen die Qualität nicht halten. Und Reproduktionen kommen für uns nicht infrage.« Der nächste Schritt wäre die Institutionalisierung gewesen, mit allem, was dazugehört: ein Haus mit ausreichend Fläche, Personal und finanzielleMittel – ein eher aussichtsloses Unterfangen. Also richtete sich der Blick auf eine Lösung, die Arbeit in anderer Form weiterzuführen. Mit der Berlinischen Galerie war sie schnell gefunden.
Schon 1987 hatte sie die meisten Künstlerinnen in der Sammlung, und sie besitzt ein umfangreiches Archiv. Darüber hinaus kooperieren die Häuser schon länger erfolgreich: Nach Frieda Riess 2008 und Eva Besnyö 2011 zeigt das Verborgene Museum noch bis 17. Januar 2022 die Bildhauerin Louise Stomps in den Räumen der Berlinischen Galerie. Die Türen sind hier in jeder Hinsicht weitgeöffnet. Direktor Thomas Köhler ist für sein breit gefächertes Programm bekannt, und er weiß die Arbeit seiner Kolleginnen zu würdigen: »Für mich waren die Ausstellungen des VerborgenenMuseums immer eine Schatzkiste an Positionen, die ich so noch nie gesehen hatte. Ich denke häufiger daran zurück und frage mich, welche dieser Künstlerinnen man noch einmal ausführlicher in der Berlinischen Galerie zeigen könnte oder ob sie in unserer Sammlung präsent ist.« Er hofft, dass die Vision in der Berlinischen Galerie eine noch größere Relevanz erhält. »Das Verborgene Museum war zu bescheiden. Ich hoffe, wir können eine höhere Reichweite erzielen, allein schon durch unsere Größe und den umfangreichen Apparat.« Mit regelmäßigen, auch größeren Ausstellungen möchte er die Arbeit mit Blick auf die Gegenwart fortsetzen. Mit TabeaBlumenschein und Gertrude Sandmann hat Köhler schon zwei Kandidatinnen im Kopf. Ganz wichtig dabei: »Das Verborgene Museum hat vielfach die erste umfangreiche Publikation zu den Künstlerinnen vorgelegt. Diese Tradition wollen wir weiterführen.«
Zunächst gilt es, unzählige Ordner aus 35 Jahren Forschungsarbeit aufzubereiten. Marion Beckers wird diesen Wissensschatz in den nächsten zwei Jahren an die Anforderungen des Künstler*innen-Archivs der Berlinischen Galerie anpassen. Danach steht der Fundus allen Forschern und Kuratoren offen. Wenn sie in Zukunft die Kunstgeschichte mit ihren Entdeckungen bereichern, werden sie auf den Schultern des Verborgenen Museums stehen.
Text – NADJA MAHLER
Aus dem Museumsjournal 01/2022