Sich selbst ausgraben

Gundula Schulze Eldowy, »Trujillo 2002« (fotografiert mit Javier Alberto Garcia Vásquez), Polaroid.
© Gundula Schulze Eldowy

Die Nomadin GUNDULA SCHULZE ELDOWY lässt uns an Momenten ihrer Weltreise teilhaben

Die ostdeutsche Fotografin Gundula Schulze Eldowy wurde mit ihren berührenden Schwarz-Weiß-Serien wie »Berlin in einer Hundenacht« (1978–90), »Arbeit« (1985) oder »Tamerlan«(1979–87) weltweit bekannt. Sie hielt dafür schonungslos vor allem die Außenseiter einer »geschlossenen Gesellschaft« in der späten DDR fest und etablierte sich als einzigartige Vertreterin der StraightPhotography.

Schulze Eldowys radikaler fotografischer Blick, der nichts schönt oder verbirgt, ist inspiriert von Vorbildern wie Paul Strand, Henri Cartier-Bresson oder Diane Arbus. Mitte der 1980er-Jahre entstanden die Farbzyklen »Der große und der kleine Schritt« (1984–90) und »Die letzten beißen die Hunde« (1989/90), in denen sie mit einer drastischen, emotionalen Bildsprache die Fragilität menschlicher Existenz und die Entfremdung des Menschen in der Gesellschaft zum Ausdruck bringt.

Gundula Schulze Eldowy, »Kyoto«, Polaroid
. © Gundula Schulze Eldowy

Mit der Grenzöffnung 1989 erweiterte sich nicht nur Schulze Eldowys Wirkungskreis, sondern auch, beginnend mit der Ankunft in New York, das Spektrum ihres Schaffens. Angeregt durch die Zusammenarbeit mit Robert Frank, mit dem sie seit 1985 in Kontakt stand, machte sie Polaroid- und Videokameras zum Teil ihres Equipments. Die Werkgruppe »In einem Wind aus Sternenstaub« (1990–93) knüpft noch an die sozialdokumentarische Fotografie an, jedoch begann sich bereits ein neuer Stil abzuzeichnen, »der in einer verstärkten Hinwendung zur Poesie in Wort und Bild zum Ausdruck kommt«, so Schulze Eldowy.

Die auf all ihren Reisen und Lebensstationen – USA, Italien, Russland, Ägypten, Japan, Peru und Bolivien – entstandenen fotografischen Serien, Filmaufnahmen, Stills und Polaroids, um eigene Texte ergänzt, werden zur Spurensuche, auf der Schulze Eldowy nicht nur die Schätze gegenwärtiger und antiker Kulturen, sondern auch »sich selbst ausgräbt«. Entstanden die Polaroids anfangs als beiläufige Notizen, mit denen sich besondere Situationen, Dinge oder Personen verbanden, entwickelten sie sich in der Folge – teilweise freskenartig überarbeitet – zu einem eigenständigen Teil in Schulze Eldowys facettenreichem Œuvre und verorten sie künstlerisch in der Instant Photography.

Gundula Schulze Eldowy, »Pyramiden vom Hubschrauber, Gizeh 2000«, Polaroid.
© Gundula Schulze Eldowy

Jene Momentaufnahmen, ein Vierteljahrhundert im Archiv der Fotografin verborgen, stehen nun im Zentrum der Ausstellung »Mangoblüte & Windrose« in der Galerie Pankow. In der Rück- und Zusammenschau verdichten sich diese vermeintlich unspektakulären Bilder zu einer poetischen Erzählung, die über das Konkrete hinaus existenzielle Fragen zum Leben und zur Rolle der Künstlerin darin stellt. Selten kam eine Ausstellung der Person Gundula Schulze Eldowy so nah: »Die Bilder in kleinen Formaten handeln von scheinbar belanglosen Situationen und wirken wie nebenbei gemacht. Was im Moment des Entstehens reflexartig und intuitiv erfolgt, erweist sich im Nachhinein als Essenz des Seins«, schrieb Schulze Eldowy 2021.

Abermals begegnen wir der früheren Protagonistin »Tamerlan« im Berlin der 1990er-Jahre, wir wandeln durch die Straßen New Yorks, besuchen das Grab von Meresanch in Gizeh, schauen aus der Vogelperspektive auf die Pyramiden von Túcume, treffen auf Kinder, Mönche, Beduinen, Götter und Derwische in Istanbul, Nazca, Kairo, Kyoto, Pompeji oder Assuan. Die mehr als zweihundert Polaroids und Stills aus einem reichlichen Jahrzehnt, begleitet von einem Filmprogramm und einer Publikation, lassen uns an Momenten von Schulze Eldowys Weltreise teilhaben und einen Einblick gewinnen, wie alles in Zeit und Raum miteinander zusammenhängt und zugleich des einzigartigen Augenblicks nicht entbehrt.

Text – ANNETTE TIETZ
Leiterin der Galerie Pankow

Aus dem Museumsjournal 01/2022

 

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