Weg des Samurai
Zen-Buddhismus, Teekultur und Schwertkampf: Wie ein Privatsammler japanische Geschichte nach Berlin-Mitte bringt
Manch einen mag der Auszug der Sammlung Olbricht aus der Auguststraße, der Galerienmeile in Berlin-Mitte, wehmütig gestimmt haben. Doch unerwarteter Trost naht: Ab 8. Mai wird das Gebäude als Samurai Museum in neuem Glanz erstrahlen. Davon konnten wir uns während eines Rundgangs mit Sammler Peter Janssen, Museumsdirektor Alexander Jöchl und Kuratorin Martyna Lesniewska überzeugen.
Der Unternehmer Peter Janssen kam über einen japanischen Freund zum Karate und trainierte bis zum schwarzen Gürtel (Erster Dan). Bald erwuchs aus der sportlichen Leidenschaft ein weitergehendes Interesse an japanischer Kunst und Kultur. Alles begann mit einem Samurai-Schwert, das Janssen 1981 für 1500 Mark auf dem Flohmarkt an der Straße des 17. Juni erwarb. Es wurde zum ersten Stück in einer der größten Privatsammlungen originaler Samurai-Artefakte weltweit.
Nach Berlin-Zehlendorf, wo sich das 2017 gegründete Privatmuseum bis dato befand, reisten Sammler aus der ganzen Welt. Eine so hochkarätige Sammlung basiert auf Beziehungen, betont Janssen, der sein Vermögen als Projektentwickler für unterschiedliche Seniorenbetreuungsformen verdiente. Die stetig wachsende Kollektion hatte er im Untergeschoss eines seiner Objekte untergebracht. An drei Tagen in der Woche kamen jeweils etwa fünfzig Besucher. Bald erwiesen sich die Räume jedoch als zu klein, denn der Sammler hat noch nie auch nur ein Stück verkauft. Inzwischen nennt Janssen an die 4000 Artefakte sein Eigen, die ältesten aus dem 6. Jahrhundert, besonders prachtvolle stammen aus der Edo-Zeit. Diese Phase von 1603 bis 1868 steht für Wohlstand, kulturelle und soziale Entwicklungen. Sie ist nach dem Regierungssitz der Dynastie der Tokugawa in der Burg in Edo, dem heutigen Tokio, benannt.
Nachdem für den neuen Standort ein Mietvertrag über dreißig Jahre gesichert war, begannen vor zwei Jahren die Planungen für ein hochmodernes, die Sammlung adäquat präsentierendes Museum. Janssen scherzt, es sei die beste Entschuldigung gewesen, noch mehr einzukaufen. Vor allem aber wollte er dem Schicksal vieler Sammler entgehen, deren Besitz an die Person gebunden bleibt, weil sie nichts in der Gesellschaft verankert und sie auch nichts an diese zurückgeben. Janssen sammelte zunächst in Berlin, dann deutschlandweit und schließlich auf der ganzen Welt. Nach Japan, nach wie vor die ergiebigste Quelle, reist er jedes Jahr. Früher wurde dort vieles weitgehend ungeregelt verkauft, erklärt er. In den 1970er-Jahren setzte eine große Rückkaufwelle ein. Heute gibt es eine Liste von japanischen Kulturgütern mit nationalem Ausfuhrverbot, die ansonsten benötigte Exportgenehmigung limitiert den Wert pro Ausfuhr auf 200.000 Yen (1600 Euro).
Beim Sammeln half Peter Janssen der Mythos, der den Samurai in der asiatischen und westlichen Popkultur anhaftet. Filme von Akira Kurosawa und Masaki Kobayashi zeigen die Samurai zwar als tragische Figuren. Doch Blockbuster wie die Fernsehserie »Shogun« mit Richard Chamberlain, der Historienfilm »Der letzte Samurai« mit Tom Cruise, zahlreiche Mangas und Anime belebten den Kult immer wieder positiv – bis in die Games-Szene und viele andere Bereiche hinein.
Die Samurai wurden mit der Entstehung der Militäraristokratie im 12. Jahrhundert zur regierenden Kaste und prägten das japanische Volk als Lehrer und Mäzene. Erst nach Öffnung des Landes, im Zuge der sogenannten Meiji-Restauration vor 154 Jahren, trat die japanische Kultur auf die europäische Bühne. Auf die Impressionisten beispielsweise hatte sie deutlichen Einfluss. Das Team um Sammler Janssen zielt mit dem neuen Museum auf die komplexe Welt der Samurai in Gänze ab. Es gilt, das Klischee einer immerwährenden Grausamkeit, die auf absolutem Gehorsam beruhe, zu durchbrechen. Deshalb geht es auch um japanische Geschichte, Philosophie, die Welt des Zen-Buddhismus und die Teekultur. Folgerichtig sind die mehr als vierzig Rüstungen, 200 Helme, 150 Masken, 160 Schwerter und jede Menge Schwertschmuck längst nicht die einzigen Objekte – auch wenn Janssen einräumt, dass seine liebsten Exponate aus der Phase der Bürgerkriege stammen. Spitzenstücke der Sammlung sind drei Samurai-Rüstungen des Kato-Clans, Familien des japanischen Schwertadels (Buke) aus der Provinz Mino. Die prächtig gewandeten Krieger reiten einem auf japanischen Pferden – von einem Brandenburger Spezialisten zum Stückpreis von 15.000 Euro lebensecht präpariert – entgegen. Sofort fällt auf, wie klein die Männer waren. Ein Samuraimaß circa 1,55 Meter, seine Rüstung wog beachtliche 25 Kilo. Allein der Helm erforderte eine trainierte Nackenmuskulatur, manch einer war sogar mit italienischem Glas verziert. Viele Schmiede konnten nicht schreiben, daher sind die Signaturen auf den Schwertern von immenser Bedeutung, die von ihrer Herkunft künden sollten. Niedere japanische Krieger zogen übrigens weit weniger geschützt in den Kampf.
Wer kein Waffennarr ist, für den hat ein überwiegend aus Originalteilen bestehendes Nō-Theater von 1700/1800 das Zeug zum Star der Ausstellung. Auch hochgestellte Samurai waren mitunter Darsteller. Stück für Stück in Japan auseinandergenommen und für den Ausstellungsraum geringfügig adaptiert, wurde das Theater in Berlin von Handwerkern aus Japan wiederzusammengesetzt. Im Hintergrund ist – wie in jedem Nō-Theater – eine Kiefer zu sehen. In dieser Kulisse werden zu festen Zeiten auf eine Gazewand authentische, in Japan aufgezeichnete Stücke projiziert. Die wenigsten wissen, dass Kabuki, das traditionelle Theater der Edo-Zeit, ursprünglichvon einer Frau entwickelt wurde. Das Auftrittsverbot für Frauen kam erst später auf. Nicht weniger faszinierend ist ein dem historischen Vorbild detailgetreu nachempfundenes Teehaus. Als Geste der Demut durfte man es nur gebückt und ohne Waffen durch eine niedrige Seitentür betreten. Die obligatorische Ziernische ist mit einer minimalistischen Blumenvase bewusst geschmückt. Hier kann das Publikum eine originale Teezeremonie als Projektion erleben.
Die Ausstattung des Museums folgt einer größtmöglichen Authentizität, unterstützt von einer zeitgemäßen, von Ars Electronica Solutions entwickelten Technologie. Screens etwa, die wie eine japanische Schiebetür inszeniert sind, visualisieren Fächer, hinter denen sich die ganze Welt der japanischen Kunstgeschichte verbirgt. Neben einem Raum für Schwertschmuck ist eine Klingenwerkstatt eingerichtet, in der vor den Augen des Publikums Schwerter geschmiedet und geschärft werden. Über dem Hauptausstellungsraum ist rundherum eine Galerie eingezogen. Der Rundgang auf zwei Ebenen ermöglicht vielseitige, auch unerwartete Perspektiven. Die Holzschindeln des Theaterdachs zum Beispiel könnte man fast berühren. Sämtliche Ausstellungstexte sind in einfacher Sprache verfasst, gut lesbar und digital präsentiert, sodass sie jederzeit aktuell sind, inklusive der englischen Fassung. Ein klares Farbkonzept erleichtert die Orientierung. Der Raum für Sonderausstellungen ist für alle Genres offen gestaltet. Etwa jedes halbe Jahr wechseln die Präsentationen zeitgenössischer Kunst, den Auftakt macht »Samurai – Rüstung und Kunst« der polnischen Fotografin Sylwia Makris. Die Serie lebt davon, dass zwischen der Entstehung der Rüstungen und ihrer fotografischen Inszenierung 500 Jahre liegen. Am alten Standort führte Peter Janssen zeitweise selbst durch seine Sammlung. Etwa 3000 Objekte verbleiben in Dahlem, als Recherchezentrum steht er weiterhin der Forschung offen. In Berlin-Mitte wird dafür das Vermittlungsprogramm erheblich erweitert. So werden im Nō-Theater Veranstaltungen stattfinden, sogar ein japanisches Filmfestival ist angedacht, eine mobile Web-App zeigt erweiterte Inhalte. Kinder begleitet das digitale Maskottchen Kitsune durch die Ausstellung. Am Ende des Rundgangs wird der kleine Fuchs zum Drachen und entlässt sicher nicht nur die Kleinen beflügelt.
Text: Gabriele Miketta