Wir hätten nicht mit solcher Resonanz gerechnet

Werkbundarchiv – Museum der Dinge

Veronika Deinzel & Dorothea Leicht, Kurator*innen für Outreach

Was verstehen Sie unter Outreach?

Unsere Gesellschaft ist divers und wird immer diverser. Dies spiegelt sich bislang nur in Ansätzen in unserem Team und unserer Museumsarbeit wider. Das möchten wir nachhaltig verändern. Wir begreifen Outreach als eine Querschnittsaufgabe, die alle Bereiche der Museumsarbeit betrifft: Personal, Programm, Publikum und Zugänge. In unserem Öffnungsprozess begleiten uns daher abteilungsübergreifende Leitfragen: Wessen Lebensalltag bilden unsere Ausstellungsobjekte ab? Wen sprechen wir an und wie? Wie können wir Zugänge für viele schaffen (inhaltlich und räumlich)? Wer spricht im Museum und wer nicht? Gemeinsam versuchen wir – auch in Zusammenarbeit mit Kooperationspartner*innen und Besucher*innen – Antworten zu finden und Veränderungen vorzunehmen.

 

Welche konkreten Zielgruppen wollen Sie erreichen? Wen erreicht Outreach nicht? Wie niedrigschwellig muss, wie anspruchsvoll sollte Outreach sein?

Das Werkbundarchiv – Museum der Dinge liegt mitten in Kreuzberg, einem Stadtteil, dessen Bewohner*innen sehr heterogen und divers sind. Wir wollen stärker unsere Nachbar*innen erreichen und für sie eine interessante Anlaufstelle zur Freizeitgestaltung und als außerschulischer Lernort sein. Wir möchten ein Ort sein, an dem sich unterschiedliche Menschen angesprochen, repräsentiert und wohl fühlen. Uns ist es daher ein Anliegen, bei der Themenwahl und Präsentationsweise auf die Interessen und Bedürfnisse unterschiedlicher Personengruppen einzugehen, wir entwickeln zum Teil bereits Inhalte gemeinsam mit Fokusgruppen. Wir bringen aber auch das Museum in das vertraute Lebensumfeld der Bürger*innen, z.B. in Schulen oder Senior*innenheime im Kiez und versuchen, dabei die persönlichen Anknüpfungspunkte sichtbar zu machen.

Dass nicht jede*r unser Museum besucht, ist völlig in Ordnung. Mit unserer Arbeit wollen wir aber erreichen, dass es immer seltener an Barrieren liegt, sondern an anderen Interessensschwerpunkten.

 

Was sind die größten Herausforderungen für Outreach?

Outreach erfordert Veränderungen in allen Bereichen des Museums, daher ist es eine der größten Herausforderungen, das gesamte Museumsteam im Prozess mitzunehmen (Inreach). Durch einen gemeinsamen Austausch und mithilfe von Fortbildungen werden alle Mitarbeitenden für vorhandene Barrieren und Handlungsmöglichkeiten sensibilisiert. So arbeiten wir gemeinsam an einem Haltungswechsel und der damit verbundenen Öffnung des Hauses. Im kleinen Team diskutieren wir aus unterschiedlichen Perspektiven und Motivationen heraus u.a. folgende Fragen: Wie gelingt es, die Sammlung, die historisch gewachsen durch eher westdeutsche Produktkultur geprägt ist, in Bezug auf eine diversere Alltagskultur weitezudenken? Mit welchen Mitteln können wir Multiperspektivität verstärken und somit unterschiedliche Zugänge zu den Objekten ermöglichen? Was können wir Menschen mit anderen Perspektiven bieten, damit sie uns und andere an ihrem Wissen teilhaben lassen? Wie kann das Team der Mitarbeitenden diversifiziert werden? Welche Möglichkeiten haben wir dafür perspektivisch bei der Besetzung von Stellen?

Dorothea Leicht, Foto: privat

Mit welchen Projekten/Initiativen haben Sie den größten Erfolg? Was muss sich in den Museumsstrukturen ändern, um diese Erfolge zu verstetigen?

Ein Erfolg lässt sich an unseren steigenden Besucher*innenzahlen, z.B. am eintrittsfreien Sonntag, oder zunehmenden Kita- und Schulbesuchen ablesen. Darüber hinaus wollen wir mit räumlichen Veränderungen einen einladenderen Charakter schaffen und wortwörtlich Barrieren abbauen. Dazu zählen die neu gestaltete Garderobensituation, die All-Gender-Toiletten oder auch der Ausbau von Sitzgelegenheiten, die sowohl für alte als auch sehr junge Besucher*innen bequem sein sollen.

Neue Zugänge haben wir auch auf sprachlicher sowie inhaltlicher Ebene geschaffen. Eine Beispiel ist unsere App. Dort finden sich Themenrouten in Deutsch, Englisch und Leichter Sprache. Eine der Routen legt einen speziellen Fokus auf Objekte, die unsere Vorstellung von geschlechtlicher Identität formen und hinterfragt kritisch vorhandene Rollenbilder und ihre Auswirkungen auf Produktentwürfe. Zudem gibt es ein Booklet zu unserer Sammlung in Türkisch und Arabisch und Informationen zu Sonderausstellungen fast immer auch in Leichter Sprache.

Aktuell haben wir uns mit Abläufen und festzulegenden Handlungsoptionen in Bezug auf Antidiskriminierungsprozesse auseinandergesetzt und eine AGG-Beschwerdestelle eingerichtet. Nötige und wichtige Unterstützung im Prozess bekommen wir von der Zusammenarbeit mit Diversity Arts Culture und im Austausch mit anderen Outreach-Kurator*innen.

 

Lassen sich bereits Effekte in Richtung einer diverseren, die Gesellschaft klarer widerspiegelnden Besucherschaft feststellen?

Die Initiative des eintrittsfreien Sonntags zeigt bereits große Erfolge. Wir haben viel Zeit und Mühe in die Vorbereitung eines besonderen Programms gesteckt und waren voller Erwartung, hätten jedoch nicht mit so einem Zuspruch gerechnet: Die Resonanz ist überwältigend, wir sehen viele Leute aus dem Kiez und von außerhalb, die noch nie hier im Museum waren.

Zukünftig möchten wir Familien stärker erreichen, die in der Umgebung des Museums leben. Unsere Workshopreihe »Werkstatt der Dinge« lädt zweimal im Monat kostenfrei Erwachsene und Kinder ein, gemeinsam bestimmte Themen des Museums unter die Lupe zu nehmen und dann selbst Dinge und Lösungen zu Herausforderungen im Alltag zu entwerfen und zu gestalten.

Veronika Deinzel, Foto: privat