Veränderung ist auf allen Ebenen nötig, bei Programm, Publikum und Personal

Berlinische Galerie

Christine van Haaren, Leitung Bildung und Outreach

Was verstehen Sie unter Outreach?

Auf der Jahrestagung des Landesverbands der Museen zu Berlin im November 2019 hat Susan Kamel, Professorin für Sammeln und Ausstellen in Theorie und Praxis an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, der Outreach-Definition von Ivana Scharf, Julia Heisig und Dagmar Wunderlich das Modell eines Kurators*einer Kuratorin für Inreach gegenübergestellt: »Inreach ist ein unsystematischer Prozess, bei dem diversen bisher marginalisierten Communitys Handlungsmacht und ausreichend Ressourcen gegeben werden, um disziplinlos strategische Maßnahmen zu planen, durchzuführen und zu evaluieren, um Museumsmitarbeiter*innen einzubeziehen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht aus eigenen Stücken an der Gesellschaft teilnehmen. Dieser Prozess bewirkt eine Veränderung in der Haltung der Institution, ihrer Programmgestaltung und Kommunikation. Ziel ist eine diversere, die Gesellschaft widerspiegelnde Belegschaft.« Auch wenn darin durchaus eine leichte Polemik steckt, kommt die Definition von Inreach meinem Verständnis von Outreach sehr nahe. Für mich geht es um eine Auseinandersetzung mit der Frage, welche Ausschlüsse das Museum produziert und wie wir diese abbauen können.

 

Welche konkreten Zielgruppen wollen Sie erreichen? Wen erreicht Outreach nicht? Wie niedrigschwellig muss, wie anspruchsvoll sollte Outreach sein?

Für mich geht es weniger um sogenannte Zielgruppen, die um jeden Preis erreicht werden müssen, sondern eher um die Strukturen des Museums. Mich interessiert: Welche Perspektiven und welches Wissen sind vertreten? Welche Themen kommen im Programm vor? Wer hat Handlungsmacht?

In den letzten vier Jahren haben wir an der Berlinischen Galerie mehrere langfristig angelegte Kooperationsprogramme initiiert. Mein Ziel ist es, dauerhafte und regelmäßige Kontakte zu Gruppen aufzubauen, die sich im Feld der Kunst bewegen, aber von Ausschlüssen wie Rassismus oder Ableismus betroffen sind. Wir machen das beispielsweise im Programm Standortwechsel, einer Art Mini-Residenzprogramm. Jeweils für ein Jahr laden wir Künstler*innen oder Gruppen ein, einmal pro Woche vor Ort in der Berlinischen Galerie zu arbeiten und das Atelier zu nutzen. Wir wollen ein lebendiges Netzwerk aufbauen, das sich aktiv in die Arbeit der Berlinischen Galerie einbringt.

 

Was sind die größten Herausforderungen für Outreach?

Für Museen ist es keine Selbstverständlichkeit, sich mit sich selbst und den eigenen Strukturen auseinanderzusetzen. Wir sind sehr gut darin, Ausstellungen, Veranstaltungen und Programme zu erarbeiten und zu kommunizieren. Ein Wissen um Rassismus, Diskriminierung oder Ausschlüsse ist häufig nicht vorhanden. Meiner Meinung nach braucht es daher zuallererst einen Wissensaufbau und die Bereitschaft, sich diesen Themen zu stellen.

Christine van Haaren, Foto: Harry Schnitger

Mit welchen Projekten/Initiativen haben Sie den größten Erfolg? Was muss sich in den Museumsstrukturen ändern, um diese Erfolge zu verstetigen?

Ich freue mich, wenn sich Schüler*innen einer Willkommensklasse, die ein Jahr lang alle zwei Wochen zu uns gekommen sind, anschließend bei der Lehrerin dafür einsetzen, dass sie weiterhin am Programm teilnehmen können. Für mich ist es auch ein Erfolg, wenn Teilnehmer*innen der Kunstwerkstatt Kreuzberg, die über ein Jahr lang ihre wöchentlichen Treffen bei uns abgehalten haben, sagen, dass sie dauerhaft in der Berlinischen Galerie künstlerisch arbeiten wollen. Eine Teilnehmerin aus einem Projekt bei uns bewirbt sich gerade für ein freiwilliges soziales Jahr in der Berlinischen Galerie. Sie hat Rassismuserfahrungen gemacht. Während des Projekts ist das Museum zu einem vertrauten Ort für sie geworden, sodass sie sich vorstellen kann, bei uns einen beruflichen Einstieg in die Kulturwelt zu wagen. Perspektivisch denke ich jedoch, dass wir Formen und Strukturen erarbeiten müssen, wie sich Gruppen von außen dauerhaft in die Programmgestaltung einbringen können. Nur so kann ein Museum ein relevanter Ort werden und dauerhaft bleiben.

 

Lassen sich bereits Effekte in Richtung einer diverseren, die Gesellschaft klarer widerspiegelnden Besucherschaft feststellen?

Für mich ist es interessant zu beobachten, wie unser Stammpublikum auf Personen oder Gruppen reagiert, die es nicht in einem Museum für moderne Kunst erwartet. Von fast schon penetranter Neugier über Abwehrreaktionen bis hin zu aufrichtigem Interesse ist alles dabei. Ich denke, dass es da noch viel Potenzial gibt, hin zu einem diverseren, die Gesellschaft klarer widerspiegelnden Publikum. Interessant wird es ja, wenn es nicht mehr Effekte sind, sondern sich ein langfristiger Wandel einstellt. Meiner Meinung nach kann das aber nur passieren, wenn eine Veränderung auf allen Ebenen, sprich Programm, Publikum und Personal, stattfindet.